Die Elbe ist bunt, vielfältig und absolut entdeckenswert. Das werden all die Menschen bestätigen, die die 1094 Flusskilometer von der Quelle im tschechischen Riesengebirge bis zur Mündung beim norddeutschen Cuxhaven einmal abgefahren sind. Einen Vorgeschmack auf diesen abwechselungsreiche Fluss, seine Menschen, Städte, Landschaften und Naturschönheiten bietet unser Buch: „Wir entdecken die Elbe. Mit Rolf Zuckowski von der Quelle bis zur Mündung“.
Dem Liedermacher Rolf Zuckowski, der seit seiner Elbetournee im Sommer 2000 dem Fluss eng verbunden ist, lädt als Herausgeber dieses reich bebilderten, fest gebundenen Prachtbandes mit mehreren Autoren zur großen Entdeckungsreise ein: Der Schriftsteller Burghard Bartos erzählt im Plauderton vom geschichtsträchtigen Fluss, Fachautoren wie Christian Schmidt und Ernst Paul Dörfler entführen in die Schönheiten der Naturlandschaft und die Reisejournalisten Christine und Jürgen Reimer nehmen die Leser mit auf eine Reise per Fahrrad und Schiff von der Quelle bis zu Mündung. Journalisten von der Elbe porträtieren Menschen, die an oder auf der Elbe arbeiten und leben. In einem letzten Teil hat Musiker Rolf Zuckowski eine kleine Liederreise von der Quelle bis zur Mündung zusammengestellt.
„Wir entdecken die Elbe. Mit Rolf Zuckowski von der Quelle bis zur Mündung“
Fester Einband, 216 S., viele Farbfotos
Das Buch ist zu erhalten unter info@elbkinderland.de
Sonderpreis 10,-€ plus Porto
Ich war als ich an Deck kam überrascht, daß wir die Ufer nicht sehen konnten, obgleich wir im Fluß waren. Mir schien es wie ein stilles Meer, aber ach! Die sanfte Brise und das sachte Schaukeln (…) Als wir uns Cuxhaven näherten, schienen die Ufer flach und spärlich besiedelt; hier und da ein Bauernhaus, weidendes Vieh, Heuhaufen, eine Kate, eine Windmühle.
Dorothy Wordsworth, “The Continental Journals”, London 1798
Zitiert nach: Karen Nölle-Fischer, „Die Elbe – Ein literarischer Reisebegleiter von der Mündung bis zum Riesengebirge“, Klett-Cotta, Stuttgart 1999
Ich war überrascht von der Schönheit der Gegenden, und als ich an einem wunderschönen Morgen bei Sebusein über die Elbe fuhr und die Umgebung mich an italienische Gegenden erinnerte, tauchte zum ersten Male der Gedanke in mir auf: Warum willst du in weiter Ferne suchen, was du in deiner Nähe haben kannst? Lerne nur diese Schönheit in ihrer Eigenartigkeit zu erfassen, sie wird gefallen, wie sie dir selbst gefällt.
Ludwig Richter, „Lebenserinnerungen eines deutschen Malers“, Leipzig 1909
Zitiert nach: Karen Nölle-Fischer, „Die Elbe – Ein literarischer Reisebegleiter von der Mündung bis zum Riesengebirge“, Klett-Cotta, Stuttgart 1999
Aber die sie lieben, die weit weg sind und sich sehnen, die sagen: Sie riecht. Nach Leben riecht sie. Nach Heimat hier auf der verlorenen Kugel. Nach Deutschland. Ach, und sie riecht nach Hamburg und nach der ganz großen Welt. Und sie sagen: Elbe. Sie sagen das weich und wehmütig und wollüstig, wie man einen Mädchennamen saft. So: Elbe!
Elbe, stadtstinkende kaiklatschende schilfschaukelnde sandsabbelnde möwenmützige graugrüne große gute Elbe! Links Hamburg, rechts die Nordsee, vorn Finkenwerder und hinten bald Dänemark. Um uns Blankenese. Über uns der Himmel. Unter uns die Elbe. Und wir: Mitten drin!
Wolfgang Borchert, „Die Elbe“, in: „Das Gesamtwerk“, Reinbek 1949, S. 62f
Zitiert nach: Karen Nölle-Fischer, „Die Elbe – Ein literarischer Reisebegleiter von der Mündung bis zum Riesengebirge“, Klett-Cotta, Stuttgart 1999
Mitten in Magdeburg teilt eine lange grüne Parkinsel die Elbe in zwei Arme. Der Hauptstrom führt am Domfelsen vorbei an der Stadtmitte entlang. Von der Altstadt führt seit jeher eine Brücke zur Insel. Die Bewohner des Vororts Cracau aber mußten etliche Kilometer Umweg in Kauf nehmen, um auf die Insel in den schönen Park Rote Horn zu gelangen. Erst seit Neuestem gibt es eine Fußgängerbrücke. Meine alte Tante, die seit Anfang der dreißiger Jahre in Cracau gelebt hat, erzählt, es sei ihr unvergeßlich, daß sie in den ganzen Jahren vorher nur zweimal zu Fuß auf die Insel gekommen ist, in einem Winter (einem in fünfzig Jahren!) als die Elbe zugefroren war, und in einem Sommer, als die Elbe unterhalb des Wehrs zwischen Cracau und der Insel trockengefallen war. Natürlich habe ich sofort nachgelesen, ob die Elbe wirklich so selten zufriert und bei Barbara Bartos-Höppner (in Die Elbsaga, Oetinger 1985) folgende Stelle gefunden:
Ein Zollbeamter in Schnackenburg erzählt auf die Frage: „Da war die Elbe richtig zu?“ „Ja, so war es, aber es passiert nicht oft, fließendes Wasser gefriert so leicht nicht. Die Elbe gefriert hier vom Grund her, Grundeis. Ich habe das nicht glauben wollen, aber eines Tages haben sie es mir gezeigt. Hier oben floß das Wasser noch ungehindert, dann haben sie einen Eimer hinuntergelassen, und in der kurzen Zeit, bis der Eimer wieder nach oben gezogen wurde, was das Wasser darin zu Eis geworden … So ist es wirklich. Deshalb können bei solchen Temperaturen die Schiffe auch nicht Anker werfen. Sie werfen ihn zwar, aber das Grundeis treibt den Anker wieder in die Höhe.“
So geht das also, wo der Fluß ungehindert fließen kann. Das heißt, wenn die Strömung im Seitenarm der Elbe in Magdeburg nicht durch das Wehr unterbrochen wäre, wäre es umso unwahrscheinlicher, daß die Elbe dort zufriert. Auch in Hamburg ist es ein großes Ereignis, wenn die Elbe zufriert, aber es kommt häufiger vor als einmal in fünfzig Jahren. Ich bin in meinem Leben schon mindestens dreimal über die Elbe spaziert, allerdings bei Moorfleet über die Dove Elbe, einen toten Elbarm, der zwei imponierend breit ist, aber keine nennenswerte Strömung hat. Auch der Hauptstrom sammelt auf der Oberfläche Eis an und würde zufrieren, wenn die Eisbrecher es nicht verhinderten. Warum, kann man beobachten, wenn man sich zum Beispiel am Fischmarkt ans Ufer stellt: In Hamburg ändert sich die Strömungsrichtung mit Ebbe und Flut. Die Eisschollen wandern je nach Tageszeit flußab oder flußauf und verbinden sich ganz anders zu großen Flächen als in den Abschnitten, wo das Wasser einfach frei in Richtung Mündung fließt.
Tanzbäume waren schon immer etwas Besonderes. Man tanzt nicht unter, sondern in ihnen. Üblicherweise sind es Linden, die so gezogen werden, daß der unterste Ästekranz bald über dem Boden in die Breite wächst, so daß, wenn der Baum groß genug ist, eine Bretterplattform darüber errichtet werden kann, die als Tanzboden dient. Dann fehlen einige Äste, und erst gut mannshoch über der Tanzfläche verzweigt sich der Baum wieder, wo es glückt, wiederum so breit, daß zwei bis drei Musiker auf einer kleineren Plattform Platz finden und zum Tanz aufspielen können. Es dauert Jahrzehnte, bis ein junger Baum soweit ist – ein Tanzbaum will von langer Hand geplant sein.
Im Elbestädtchen Hitzacker, dessen Zentrum zu Füßen des Weinbergs auf einer Insel in der Jeetzelmündung liegt, gibt es eine Riesenkastanie aus dem 17. Jahrhundert, die zum Tanzbaum gezogen wurde. Im Museum der Stadt heißt es, das sei auf der Welt einmalig. Heute bietet der bald vierhundertjährige Baum einen seltsam bewegenden, traurigen Eindruck. Es geht ihm nicht gut. Seit fünfzig Jahren wurde er mehrmals „operiert“, seine ausladenden, riesenlangen Äste sind mit Stahlstangen abgestützt, die wie Krücken wirken, und es sieht aus, als würde sich diese Rarität – als Touristenattraktion wurde die Kastanie jahrelang nachts angestrahlt – nur noch begrenzt bewahren lassen.
Fast bis zum Ende des 19. Jahrhunderts wurde darin getanzt; vor allem im Mai zur Blütezeit der Kastanie muß das berauschend schön gewesen sein. Der absonderliche Anblick der dicken, nur einen Meter über dem Boden waagerecht abzweigenden Äste, die in gleichmäßigem Abstand von der Mitte plötzlich fast senkrecht in die Höhe streben, hat zudem die Phantasie der Schauenden beflügelt.
Man erzählt sich mehrere Geschichten über den Ursprung der Kastanie. Seinem vermuteten Alter nach stammt er aus der Zeit, als in Hitzacker siebzig Hexen verbrannt wurden. Eine von diesen Frauen soll in ihrer Verzweiflung auf dem Weg zum Scheiterhaufen eine junge Kastanie ausgerissen und zum Beweis ihrer Unschuld mit den Wurzeln nach oben wieder eingepflanzt haben. Noch heute vertritt ein Teil der Hitzackerer die These, man könne keine junge Kastanie wieder so ziehen, weil dieses Zauberkunststück nicht noch einmal zu bewerkstelligen sei. Einer anderen Geschichte zufolge soll der Erbpächter des Weinbergs im 18. Jahrhundert ein Seefahrer gewesen sein, der sich in Japan von der Kunst des Bäumeziehens inspirieren ließ. Auf alten Stichen ist zu sehen, daß zu seiner Zeit die Kastanie als einziger Baum einer größeren Gruppe stehenblieb.
Wie aber ist die Kastanie überhaupt nach Hitzacker gekommen? Wir nehmen die Roßkastanie als selbstverständlich hin; sie wächst hier so schön, daß man ohne zu überlegen geneigt ist, sie für einen einheimischen Baum zu halten. Dabei stammt sie aus den Wäldern Griechenlands und Albaniens und wurde erst im 17. Jahrhundert nach Norden verpflanzt. Ein Wiener Gesandter in Konstantinopel brachte die Kastanie nach Wien, die erste Kastanie in der Mark Brandenburg wurde 1672 gepflanzt. Und ich stelle mir vor, daß eine Kastanie bei einem Reisenden in der Tasche von Wien über Prag die Moldau und die Elbe hinunter nach Hitzacker kam und dort am Weinberg in die Erde gesteckt wurde, oder daß der weltläufige Herzog August der Jüngere, der in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts in Hitzacker residierte, ein Büchernarr, der zudem gleichzeitig sowohl in Rostock als auch in Tübingen Universitätsrektor war, diesen exotischen Baum aus dem Süden anpflanzte, als zarten Sproß, denn wie viele Herrscher sammelte er gern außerordentliche Dinge. Kann es nicht sein, daß der Kastanienschößling mit einem Schiff im Hafen ankam, von allen wegen der handförmig geteilten Blätter bestaunt? Wie begierig mag man auf die erste Blütenkerze gewartet haben, die man bis dahin nur aus fremden Schilderungen kannte.
Das wirkliche Wunder aber ist, daß die Tanzkastanie in Hitzacker so alt geworden ist. Die meisten Roßkastanien leben nur 200 Jahre, diese hingegen hat über 350 auf dem Buckel. Im Kurpark steht ein junger Baum, der in den achtziger Jahren aus einer ihrer Früchte gezogen wurde. Vielleicht die Besucher des Weinbergs im Jahr 2300 diesen als ehrwürdigen Riesen bewundern.
Vor hundert Jahren ließen sich Hamburger Dienstboten gern gleich bei der Einstellung schriftlich von ihrer Herrschaft bestätigen, daß sie nicht öfter als zweimal in der Woche Lachs auf den Tisch bekommen würden. Personal war nicht etwa knapp und gesucht und von daher in der Lage, anstelle von Lachs Rinderfilet oder Kaviar zu verlangen, sondern der Elbelachs schwamm so reichlich, als junger Fisch gen Meer und als erwachsener Fisch zum Laichen weit flußauf in die kleinen Nebenflüsse, in denen er geschlüpft war, daß die Fischernetze davon voll waren. Lachs war billig, die Hamburger hatten sich daran satt gegessen.
Doch je mehr der Fortschritt einzog, desto mehr ging es mit den Beständen bergab. Schon zwischen den beiden Weltkriegen wurden Lachse so rar, daß die Lachsfischerei zum Erliegen kam, und 1947 wurde an der großen Staustufe in Ustí in Tschechien der letzte im dreckigen Elbwasser gesichtet. Heute gibt es in keinem deutschen Fluß mehr Lachse, die von einheimischen Lachsen abstammen. Wasserverschmutzung, unüberwindliche Staustufen, die Veränderung des Bodens durch Wehre und Schleusen, die Beunruhigung des Wassers durch die Motorschiffahrt, das alles hat ihnen das Leben unmöglich gemacht. Seit der Wende nun bemühen sich Umweltverbände und staatliche Organisationen, zum Teil mit Hilfe von Zuschüssen aus der Wirtschaft, diese Entwicklung rückgängig zu machen. Richtig geht das natürlich nicht, denn der Elbelachs ist ausgestorben. Als man beschloß, Lachse wieder anzusiedeln, mußte man deshalb zunächst herausfinden, welche der noch überlebenden Arten eine Chance hätten, in der Elbe heimisch zu werden.
Man entschied sich für Wildlachsarten aus Schweden und Irland, und seit 1995 werden die Eier in Forellenzuchtanlagen erbrütet. Sobald die Larven schwimmen und fressen können, werden sie in geeignete Flüsse ausgesetzt, zur Zeit in Sachsen und im tschechischen Böhmen. Von dort wandern sie, wenn sie etwas zwanzig Zentimeter lang sind, in die Nordsee und weiter in den Atlantik. Nach circa drei Jahren kehren sie als ausgewachsene Fische, bis zu 36 Kilogramm schwer, genau an ihren Ursprungsort zurück, um dort ihre Eier abzulegen, aus denen Fische schlüpfen, die dann wieder … usw., bis es so reichlich wilde Elbelachse gibt, daß sie gefischt werden und wieder auf den Tisch kommen können. Zukunftsmusik? Mit etwas Glück, ja. Denn seit Ende 1998 kehren die ersten Lachse zurück. Sie haben gelaicht, und jetzt wachsen die ersten in kleinen Nebenflüssen aus den Eiern geschlüpften Junglachse heran. Die allerersten. Wir dürfen noch Jahre gespannt sein, ob sich ein wirklicher Erfolg einstellt. 1998 waren es sechzig Lachse, 1999 sechsundsiebzig. Ausgesetzt hatte man dagegen 1995 172 000, 1996 365 000 kleine Lachslarven. Das sind eins zu wieviel Tausend? Die Naturschützer müssen mehr aufbringen als Geduld, denn während sie sich um die Renaturierung der Elbe und der lachsgeeigneten Nebenflüßchen bemühen, werden andernorts neue Staustufen geplant und Träume davon geträumt, wie die Elbe für riesige Eurokähne schiffbar zu machen wäre. Wer sich über Naturschutz an der Elbe informieren möchte, kann gleich im Netz bleiben. Unter www.rivernet.org/elbe.htm finden Sie die Seiten des European Rivers Network; unter www.duh.de die Deutsche Umwelthilfe, die zusammen mit dem Verlag Gruner und Jahr ein vielgestaltiges Programm zum Schutz der Elbe ins Leben gerufen hat.
… und kein Kanal ist, macht sie unter den großen Flüssen in Mitteleuropa einzigartig. Auf 622 Kilometern, von Ustí bis Geesthacht, ist sie ein freifließendes Gewässer, in dem die Wasserstände mit den Jahreszeiten und den Niederschlagsmengen stark variieren. Daß die Elbe je nach dem über die Ufer tritt oder zu einem seichten Fluß im breiten Sandbett wird, gehört dazu – der Wechsel von „naß“ und „trocken“ prägt das Leben am Ufer und macht der Schiffahrt Verdruß.
Immer wieder kommt der Wunsch auf, auch die Elbe zur „Europäischen Wasserstraße“ auszubauen, damit Kähne von genormter Riesengröße rund ums Jahr in berechenbarem Tempo stromauf, stromab fahren können, um ihre Güter und Waren pünktlich abzuliefern. Güterverkehr auch hier das Maß der Dinge; die selbstverständliche Annahme, der Fluß sei da, man müsse ihn nutzen. Für die Elbe gilt diese Selbstverständlichkeit zum Glück nicht mehr unbestritten. Der Naturschutz tritt gegen die Vorstellung an, man müsse auch den letzten Fluß zur Straße degradieren.
Ob wir wirklich noch einen Transportweg brauchen (ob ein Ausbau der Elbe also überhaupt wirtschaftlich zu rechtfertigen ist, angesichts der vielen Autobahnen, Eisenbahnen, Kreuz- und Querkanäle, die das Land durchziehen), ist eine Frage, über die auch unter Fachleuten Uneinigkeit herrscht. Aber es ist eine Frage aus der Welt, in der alles, was außer Menschen da ist, für Menschenzwecke instrumentalisiert wird. Man kann die Sache auch anders betrachten, nicht indem man den Menschen aus dem Bild hinausdenkt, sondern indem man das Bild weitet, die Tiere und Pflanzen hereinnimmt und hier und da ansatzweise etwas wiederzugewinnen sucht, an das auch die Elbe nur noch entfernt erinnert: einen natürlichen Fluß. Ein Fluß mit elbetypischen Siedlungsformen und einer landwirtschaftlichen Nutzung der Überflutungswiesen, ohne diese in Äcker oder Saatwiesen zu verwandeln – das uralte Nebeneinander von Kultur und Natur pflegen, statt die Natur immer weiter zu verdrängen. Die Pläne zur Erhaltung der Elbe als freifließender Strom sind so kühn, und schwer durchzusetzen, wie bescheiden. Auf 622 Kilometern am Stück fließt sie frei, das ist gerade mal die Hälfte des gesamten Laufs.
In der Tschechischen Republik regulieren 24 Staustufen die Wasserstände so, daß die Elbe stets schiffbar ist, ihr Lauf ist begradigt, die Fließgeschwindigkeit ungeheuer verlangsamt. Nun plant die tschechische Regierung, weil die Befürworter eines Donau-Oder-Elbe-Kanals (!) es so wollen, noch zwei weitere Staustufen auf den letzten 40 Kilometern vor der deutschen Grenze. Hier fließt die Elbe durch das Elbsandsteingebirge in einem tief gegrabenen Canyon, dessen Schönheit, dessen besonderes Klima, dessen Tiere und Pflanzen zerstört würden, wenn es zu dem Bau käme. Sinn machen die Staustufen nur, wenn auch auf deutschem Gebiet weiter gestaut wird, denn eine Staumauer zieht die nächste nach sich: Unmittelbar an der Staumauer trägt der über sie hinwegstürzende Fluß die Sohle ab, er vertieft sich, so daß dem Wasser weiter stromab bald wieder Tiefe fehlt, die durch eine neue Mauer gewonnen wird, über die das Wasser stürzt, die Sohle abträgt … und so weiter bis zur Mündung. Fertig ist der Kanal. Durch den Bau würden sich die 622 Kilometer nicht nur um 40 reduzieren, sondern er wäre der Anfang von weit größeren Beschneidungen. Noch ist er nicht beschlossene Sache … Auch von Ustí bis Geesthacht darf man sich nicht der Illusion hingeben, man habe einen natürlichen Fluß vor sich. 86 % der ursprünglichen Auen sind abgedeicht. Sie sind zwar vielerorts relativ offen mit dem Fluß verbunden, so daß Flora und Fauna eine gewisse (und zurzeit wachsende) Chance haben, und selbst Nebenflüsse werden renaturiert, aber der Fluß selbst ist eingegrenzt, 6900 Buhnen lenken das Wasser in die Fahrrinne, damit auch hier der Fluß nach Möglichkeit schiffbar ist, und die Deiche schützen die Siedlungen vor katastrophalen Überschwemmungen, wie sie in vergangenen Jahrhunderten gewütet haben.
Die offenen Auenlandschaften sorgen als Pufferzone zwischen dem Strom und den Siedlungen nebenbei dafür, daß weite Flächen überflutet werden können, wenn der Fluß zuviel Wasser hat, und die talwärts rauschende Flut gebremst wird. Im Einzugsgebiet der Elbe leben über 25 Millionen Menschen, deren Schmutzwasser zwar mittlerweile weitgehend modern geklärt wird, aber eine Belastung für das Wasser bedeuten sie doch. Um so größer die Freude, daß sich die Wasserqualität so verbessert hat, daß die Biber sich vermehren, Kraniche brüten mögen, Schmetterlinge über Magerwiesen gaukeln, wieder über 40 Fischarten in der Elbe leben. In den Qualmwassern rufen die Unken. Sie geben noch keine Entwarnung: Die meisten der sich vorsichtig wieder ausbreitenden Tiere und Pflanzen stehen auf der Roten Liste der bedrohten Arten.
Die um Naturschutz bemühten Organisationen entlang der Elbe zu vernetzen, hat sich die Deutsche Umwelthilfe im Verein mit dem Verlag Gruner & Jahr vorgenommen. Ziel ist die Anerkennung der Elbe als Weltkulturlandschaft, damit sie langfristig und übernational geschützt wird. Mit der Ausstellung “Lebendige Elbe” informiert sie seit 1998 die Bevölkerung entlang der Elbe über das Leben im und am Fluß und wirbt für naturnahe Konzepte. Diese Ausstellung befindet sich derzeit auf dem Schiff, das Rolf Zuckowski für die Konzertreise gegen den Strom gechartert hat. Kinderchöre und Konzertbesucher sollen sich auch informieren können. Und nun sagen die Wasserstände (trotz des verregneten Sommers), vielleicht kann das Schiff nur bis Magdeburg, vielleicht nur bis Boizenburg kommen, und wenn es ganz hart kommt, muß es in Wedel bleiben. Die Elbe ist dieses Jahr ein seichter Fluß im breiten Sandbett, an manchen Tagen keinen Meter mehr tief. Da freuen sich die Pflanzen, die den Wechsel von naß zu trocken brauchen, und die Menschen stehen daneben und können sich (trotzdem?) an der intakten Flußdynamik freuen.
Neulich stand ich in Melnik auf dem Schloßberg über dem Zusammenfluß der Moldau und der Elbe. Es war brütend heiß, die Fernsicht wunderschön. Neben mir stand ein Naturschützer mit traurigem Gesicht und schaute auf das Wasser vor uns hinunter. „Das ist kein Fluß mehr“, sagte er und zeigte auf die glatten Ufer, das träge, grün veralgte Wasser. Er hat recht: Lieber einen lebendigen Fluß als noch eine Wasserstraße, sie sind so selten geworden, noch seltener als Schiffahren, und wenn es noch so schade ist.
Karen Nölle-Fischer, im Juli 2000
(Originaltexte für unsere Web-Site)